2015 – Was heißt hier eigentlich frei?

150 150 Herbsttagung

Es handelt sich dabei darum, daß man die Freiheit entwickelt hat zunächst im Gedanken. – Im Gedanken geht der Quell der Freiheit auf. Der Mensch hat einfach ein unmittelbares Bewußtsein davon, daß er im Gedanken ein freies Wesen ist.“
Rudolf Steiner Lit.: GA 235, S. 54

Bericht von der Herbsttagung 2015

Ein neues Feuer wurde entzündet – nicht gebunden, unbelastet, unabhängig, nicht beengt oder bedeckt – einfach frei!!

Kaum ein weiterer Begriff ist so schwer in Worte zu fassen, so tief gehend, seelenberührend und herzerwärmend wie „Freiheit“. Kaum ein anderes Ziel wird seit Jahrtausenden von der Menschheit so erstrebt wie dieses – Freiheit. Und kaum ein anderer Grund ist gegeben, für den es sich lohnt zu kämpfen – Freiheit.

Ein weiterer Funke wird auf einer Oktobertagung entzündet für das Beleuchten und Erleuchten der beherzten Fragestellung „Was heißt denn hier eigentlich frei?“ in diesem Jahr 2015. Künstlerisch untermalt im figürlichen Design (www.novembertagung.de) suchen wir Mitentzünder und Antwortsuchende aus allen Richtungen – Ost, West, Nord, Süd. Aufgeregt schmücken wir kunstvoll die Anmeldung, die Küche, die Kursräume, Flure und Toiletten, bauen Saatguttauschbörse, Bücherstand, Aktionsstände wie Pullern gegen Glyphosat, Esstische, genügend Stühle, Waschstraße, Feuerstelle, Beamer und Technik auf, kleben ein großes Bild zum Malen unseres gemeinsamen zukünftigen Hofes an die Wand, hängen Lichterketten und stellen Kerzen auf – schaffen einen Raum der Freiheit. Das eingespielte nachtdurchschnippelnde unermüdliche Küchenteam einen Raum des „freien“ Essens.

Etwa 300 freiheitsuchende Auszubildende, Studenten, landwirtschaftliche Praktiker und einfach so frei Vorbeigeschneite finden sich ein im Institut für Waldorf-Pädagogik in Witten/Annen. Die gemütlichen verwinkelten, kunstvoll eingerichteten Gebäude geben uns viel Raum zum Diskutieren, Philosophieren und Vernetzen. Jede Nische wird genutzt. Der Teich und die liebevoll gestaltete Parkanlage drumherum ermöglichen uns viel Freiluft und werden gerne angenommen. Die nahe Gärtnerei lockt die ersten Teilnehmer zum Erkunden und lädt zum Träumen über zukünftige Gartenbau- und Landwirtschaftsprojekte ein. Bei der Anmeldung wächst die Schlange! Schön, dass so viele gekommen sind!! Gestärkt von der Küche lauschen wir am Abend dem Vortrag von Werner Wecker als Auftakt unserer Tagung: „…Tief im Menschen steht der Wille zur Harmonie und sozial zu sein. Alles will im Gleichgewicht sein […] Erwachen sollen wir aneinander. Wie anders bin ich als du? […] Wir brauchen nicht schlecht von uns denken. Wir brauchen Mut, aus uns selbst heraus zu leben.“

Jeden Morgen stehen wir auf mit Weckgesang und fließenden, körperbewussten Übungen der Eurythmie, gehen über vom Frühstück in unsere 17 verschiedenen Kurse: Volkstanz erwärmt die Füße, das Feuer des Schmiedekurses die Herzen und Muskeln, die Mensch-Tier-Kommunikation stärkt die Bindung zu dem Tier und zu uns selbst, Mykorrhiza-Moritz gibt uns eine „fiese“ frontalunterrichtliche Theorieschelle über Bodenbiologie zum besseren praktischen Verständnis, Rudolf Steiner gibt uns durch sein Werk „Die Philosophie der Freiheit“ das geistige Fundament der Tagung, verspielt und tief bewegt tastet sich der Zeichenkurs an das Erfassen des Bildes der Freiheit, mit Sand und Ton errichtet der Lehmkurs ganze Wände, sternenklar und universell erblickt der Astronomiekurs mit seinen eigenen Augen den Himmel, im Atem der Zeit wird die Sense geschwungen, Indigene Mikroorganismen erobern unsere Höfe, auch hier bringt uns die Eurythmie in unser Körperbewusstsein und erkundet die Welt mit Mimik, Bewegung und Feingefühl, meditierend verräuchert sind Teilnehmer den Pflanzengeistern auf der Spur, unsere zukünftigen Träume bekommen Wurzeln im Hofgründungskurs, die Bienen summen auch dieses Jahr und innige Begegnungen werden über Kontaktimprovisation geschaffen. Kurze Pause-Essen-weiter geht’s! In der Gemeinschaftszeit ergründen wir unsere Frei-Zeit. Frei von jedermann gestaltet und gefüllt – diskutierend, zeichnend, lesend, singend, spielend, bewegend… frei – gibt es von den Teilnehmern selbst angebotene Kurse bekanntgegeben am roten Brett. Die Abende vertiefen unsere Freiheit. Bernd Rosslenbroich gibt uns Aufschluss über die „Biologie der Freiheit“, die Evolution ist nicht allein bestimmt durch Anpassung an Umweltfaktoren, nicht allein nur das Prinzip von Aktion und Reaktion, sondern auch das Streben nach Autonomie, nach Selbstständigkeit, Abgrenzung nach Außen. Unser Seminarleiter Christoph Willer legt uns sein Bild von Freiheit philosophisch nahe und gab uns Impulse selbst weiter nach dem Freiheitsbegriff zu forschen. An einem Abend eröffnen wir einen Raum für die Openstage. Begonnen mit lebendigen Präsentationen vom Zeichen- und Eurythmiekurs trauen sich danach mutige, herzerwärmende und aussagestarke Teilnehmer auf die Bühne und stellen ihr Anliegen singend, sprechend oder bewegend vor für ca. fünf Minuten. Eine kleine spanische Band bringt unsere Beine zusätzlich ins freie Tanzen. Am Lagerfeuer und am Gartentisch wird sich parallel ausgetauscht, vernetzt und musiziert. Feuertanz erhellt die Nacht. Schade! Schon geht die Tagung wieder dem Ende entgegen… Noch einmal singend in der Gemeinschaftszeit gemeinsam von vier frei-erfüllten Tagen verabschieden. Und gute Fahrt! Mögen wir das Feuer der Freiheit in die Welt hinaustragen! Danke euch allen!! Die da mitgewirkt, uns unterstützt und gespendet haben. Ohne euch und Ihnen wäre es uns nicht möglich, eine Tagung wie diese frei (!) zu gestalten und frei (!) zu erleben. In Zeiten wie diesen ist jeder Raum, der für die Freiheit geschaffen wird, nötiger denn je. Unser Dank geht an das Institut für Waldorf-Pädagogik, der Blote-Vogel Schule, allen Dozenten, unser tolles Küchenteam und vor allem an alle Spender, ob finanzieller oder essensmaterieller Art. Dann auf zur nächsten Tagung mit neuen Funkenschlägen und immer im Sinne all unserer Freiheit! Frenzie

– Vögel im Käfig sprechen vom Fliegen. Freie Vögel fliegen. –
aus China

– Der Mensch ist für eine freie Existenz gemacht, und sein innerstes Wesen sehnt sich – nach dem Vollkommenen, Ewigen und Unendlichen als seinem Ursprung und Ziel.
Matthias Claudius (1740 – 1815), deutscher Dichter, Redakteur, Erzähler und Herausgeber des Wandsbecker Boten, Pseudonym Asmus